Geschichte der Regionalsprache

Ursprünge
Nach der französischen Revolution
Die letzten Kriege
1945 bis heute

Ursprünge

Die Ansiedlung der im 5. Jahrhundert aus dem Norden eingewanderten germanischen Völker, der Alemannen und Franken, verdrängt völlig die galloromanische Sprache bis auf ein paar Gewässer- und Ortsnamen. Die Umgangssprachen sind von da an das Alemannische, das sich von den Vogesen bis in die letzten Winkel Bayerns erstreckt, im gesamten Südwestdeutschen Raum, in der deutschen Schweiz und im Vorarlberg, sowie das Fränkische im Nordelsass, Lothringen und in der Pfalz. Im Mittelalter sind Alemannisch und Fränkisch die einzigen gebräuchlichen Sprachen sowie das Lateinische, das den Gelehrten und Klerikern vorbehalten war.

Im 16. Jahrhundert entsteht das Hochdeutsche, die deutsche Schrift- und Literatursprache, unter dem Einfluss der Zentralverwaltung, der Drucker und der Bibelübersetzung von Luther. Die Hochsprache wird bald zur gemeinsamen Sprache des gesamten deutschen Sprachraums. Auch im Elsass setzt sich das Hochdeutsche immer weiter als Schriftsprache durch. Das Alemannische und das Fränkische, die bis heute als Dialekte unter der Bezeichnung Elsässisch überlebt haben, werden nur noch als Umgangssprache verwendet.
Während des gesamten Mittelalters und bis ins 17. Jahrhundert gehört das Elsass zum deutschen Reich und gilt als eine seiner wirtschaftlich und kulturell blühenden Provinzen. Einige der großen Namen der deutschen Literatur stammen aus dem Elsass: Otfried von Weissenburg, Gottfried von Strassburg, Reinmar von Hagenau, Johannes Tauler, Sebastian Brant, Johannes Geiler von Kaysersberg, Thomas Mumer, Jörg Wickram, Johannes Fischart, Johann Michael Moscherosch usw.
Im 17. Jahrhundert bricht das kulturelle Leben aufgrund des dreißigjährigen Kriegs weitgehend zusammen. Wegen der Zuwanderung aus der deutschen Schweiz nach dem 30-jährigen Krieg mit dem Ziel, die beträchtlichen Bevölkerungsverluste auszugleichen, fand trotz der neuerlichen Zughörigkeit zu Frankreich eine sprachliche und kulturelle Annäherung an die Herkunftsgebiete der Einwanderer statt.
Die zunehmende Angliederung des Elsass an Frankreich (1648 – 1681) fördert die Aneignung der französischen Sprache im Laufe des 18. Jahrhunderts, allerdings nur in den oberen Gesellschaftsschichten. Die breite Mehrheit der Bevölkerung bleibt beim Elsässerditsch und beim Hochdeutschen, die vorherrschende Sprache in Kirche und Schule, im Schriftverkehr und im täglichen Leben.

Nach der französischen Revolution

1789 bezeichnen französische Reisende das Elsass weiterhin als Deutschland. Ein Elsass, dessen Einwohner es nicht ablehnen, Deutsche genannt zu werden. Diese Benennung wurde damals nicht als negativ aufgefasst. Ab der französischen Revolution, 1793 – 1794, wird der legitime Gebrauch der deutschen Sprache im Elsass in Frage gestellt. Die deutschsprachigen Elsässer werden von einigen Revolutionsanhängern als Verbündete der Republikfeinde angesehen. Der Vertreter der Convention Lacoste schlägt selbst vor, ein Viertel der Elsässer guillotinieren zu lassen und im Elsass nur die Bürger wohnen zu lassen, die sich an der Revolution beteiligt hatten. Die anderen sollten enteignet und deportiert werden.

Zwischen 1800 und 1870 setzt sich das Französische immer mehr durch, besonders nach 1850. Während des zweiten Kaiserreiches war es zur Hauptsprache der Großbourgeoisie geworden. Im Volk verbessern sich die Kenntnisse des Französischen bei der Jugend durch Schule und Militärdienst. Dennoch spielt Französisch weiterhin eine untergeordnete Rolle, denn in den Schulen wird oft noch auf Deutsch unterrichtet, die Lehrer beherrschen das Französische selbst nicht gut, und der Militärdienst ist keine Verpflichtung für alle. Außerdem bleibt das Deutsche weiterhin die Sprache der Kirchen, der Volksdichtung, der Presse, des Volkes, der Familie und des Herzens.

Die letzten Kriege

Nach der Annexion des Elsass durch Deutschland als Folge des deutsch-französischen Kriegs von 1870, den Frankreich verloren hatte, und in der deutschen Zeit (1871 bis 1918) wird die Wahl der Sprache zum politischen Akt. Das Hochdeutsche ersetzt das Französische im öffentlichen Leben. Einige Familien, meist aus den höheren sozialen Schichten, verwenden absichtlich das Französische als Umgangssprache und vertauschen so Sprache und nationale Zugehörigkeit. Beim Volk, das weiterhin Dialekt spricht, bekommt das Hochdeutsche mehr und mehr Gewicht. Es gibt wieder Dichtung in deutscher Sprache (Friedrich Lienhard, René Schickele, Ernst Stadler, usw.). 1914 sprechen diese Klassen fast ausschließlich Elsässisch und verwenden das Hochdeutsche als Schriftsprache. Zwischen 1870 und 1920 wird das Elsässische als „Kulturmarker“ verwendet, durch das sich Elsässer und deutsche Einwanderer voneinander unterschieden. 

Nach dem Ersten Weltkrieg kommt das Elsass wieder zu Frankreich. Es erfolgt nun die Franzisierung des öffentlichen Lebens. Eine sprachliche Assimilierung vor allem durch die Schulen führt zum Rückgang der Hochdeutschkenntnisse und bedroht letztendlich die Existenz des elsässischen Dialekts.
Während des Zweiten Weltkriegs (1940 bis 1944) erfolgt der Anschluss des Elsass an das nationalsozialistische Deutschland. Diese Zeit wird von der Bevölkerung als wahre Tragödie erlebt (Zwangseinberufung in die Wehrmacht, Konzentrationslager usw.). Während dieser Zeit sind Wörter französischen Ursprungs verboten und müssen französische Namen eingedeutscht werden.

1945 bis heute

1945 wird die sprachliche Sonderstellung des Elsass in Frage gestellt. Es entsteht ein Minderwertigkeitskomplex von Seiten der Elsässer. Das Elsässische wird nun als negativ angesehen. Die Treue gegenüber Frankreich äußert sich im Verzicht auf die Muttersprache. Zum ersten Mal in der Geschichte des Elsass wird das Hochdeutsche aus der Grundschule verbannt und sein Platz in der Presse sehr eingeschränkt. Deutsch wird in den weiterführenden Schulen als Fremdsprache unterrichtet. Das Elsässische wird aus der Schule verbannt, die Kinder werden bestraft, wenn sie in der Schule oder auf dem Schulhof Elsässisch sprechen. So kommt es dazu, dass das Elsässische als ein Nachteil für den schulischen Erfolg angesehen wird und als hinterweltlerisch und als Unbildung schlechthin gilt. Aber es wird wegen seiner Verbindung zum Deutschen vor allem als eine nationale Schande angesehen. Zu diesen negativen Spannungen kommen die Auswirkungen des veränderten Lebensstils (Verstädterung, Entwicklung des Tertiärsektors, kulturelle Orientierung usw.), die innerhalb der Familien ein Phänomen der Selbstzensur hervorbringen, so dass die Eltern die elsässische Sprache nicht mehr an ihre Kinder weitergeben.

Die jüngere Generation drückt sich daher viel weniger gewandt auf Elsässisch aus und kann zum großen Teil nicht richtig auf Hochdeutsch schreiben, wenn auch leider die Beherrschung des Französischen dadurch nicht besser geworden ist. Diese Generation wurde bereits, wenn das auch etwas übertrieben ist, als sprachenlose Generation bezeichnet. Aber gleichwohl ist es diese Generation, die Ende der 60er Jahre die bestehende Sprachsituation als unbefriedigend empfindet und in Frage stellt. 1968 wird die René Schickele-Gesellschaft gegründet, die für eine zweisprachige Erziehung eintritt. In den folgenden Jahren entstehen neue Organisationen und Zeitschriften, die sich für die Förderung der Regionalsprache einsetzen. Eine langsame Bewusstwerdung tritt ein: die Idee, das Elsässische sei ein wertvoller Teil des Kulturerbes, gewinnt an Boden. Die Frage, ob es sinnvoll ist, Hochdeutsch zu lernen, stellt sich nicht mehr.
In den 70er Jahren haben sich die Generalräte des Haut-Rhin und des Bas-Rhin beim französischen Bildungsministerium, der Education Nationale, dafür stark gemacht, das Fach Deutsch schon ab der Grundschule einzuführen. Als im Zuge der Dezentralisierung das neue Gremium der Regionalräte gegründet wird, engagiert sich der elsässische Regionalrat an der Seite der Generalräte. 1991 sprechen sich die drei elsässischen Gebietskörperschaften für eine bilinguale deutsch-französische Früherziehung aus und bekräftigen so die Bemühungen privater Initiativen. 1992 beginnt die Education Nationale mit der Einführung des bilingualen Unterrichts. 1993 beschließt der Generalrat die Gründung einer Institution für die Förderung der Zweisprachigkeit, das Regionalamt für Zweisprachigkeit, das 1994 mit der Unterstützung der Generalräte gegründet wird. 2001 wird diese Institution umbenannt und heißt nun „Amt für Sprache und Kultur im Elsass“ – oder auch „S‘Amt füer Sproch und Kültür im Elsass“. Darin zeigt sich der Wunsch, eine noch engere Verbindung zwischen Regionalsprache und Regionalkultur zu schaffen.